Da für Dich! Und für was?

Die neue Werbekampagne der LGBTIQ Helpline ist diesen Sommer in der Deutschschweiz gestartet. Wie kam es dazu, dass uns heute in zahlreichen Community-Spaces so viele queere Gesichter vor grünem oder orangen Hintergrund ansehen?

Ich starre auf mein volles Glas Wein und frage mich, ob ich das falsche Getränk gewählt habe. Ich bin kein schneller Trinker und die vermeintlich rhetorische Frage, die mein Date mir gerade gestellt hat, könnte zu einer längeren Diskussion führen, auf die ich nullkommanull Bock habe. Hätte ich mich für einen Shot entschieden, wären wir viel schneller bei der Frage, ob wir noch eine zweite Runde nehmen, und die Antwort wäre aufgrund der besagten Diskussion irgendein «Hey, für mich ist gerade gut» – obwohl obviously gar nichts gut wäre, weil der Typ mich mit seinen Aussagen gerade zur Weissglut getrieben hätte. Aber als unverbesserlicher Single (die Hoffnung stirbt zuletzt yada yada yada) lasse ich mich wider besseres Wissen darauf ein und antworte mit einer Rückfrage: Ich frage ihn, was er denn damit meine, wenn er mich frage – air quotes! –, ob es heute noch eine LGBTIQ Helpline brauche? Seine Antwort nun wird entlarven, ob er zur Spezies weisser, schwuler cis Männer gehört, die bisschen zu viel Privilegien-Luft inhaliert haben und darum meinen, dass doch unterdessen alles gut sei. Oder ich – typisch für einen selbst maybe a bit opinionated Gay – zu vorschnell in meinem Urteil war und die Frage viel mehr Ausdruck fehlenden Wissens war, nämlich dass mein Gegenüber wissen will, welche Anliegen wir bei der Helpline bearbeiten. In der Tat gehört dies zu der mir am häufigsten gestellten Fragen, seit ich vor über einem Jahr die Projektleitung der LGBTIQ Helpline übernommen habe. Und dass eben nicht nur von Menschen, die auf einem Date mit mir zum ersten Mal von der Helpline hören, sondern auch von Menschen, die selbst für queere Organisationen arbeiten. 

 

Als wir darum mit der Konzeptionsphase für die Werbekampagne der LGBTIQ Helpline starteten, war allen Beteiligten – namentlich Pink Cross, der LOS, dem TGNS und InterAction – klar, dass ein Hauptziel sein muss, aufzuzeigen, was die Gründe sind, weswegen und wofür sich Menschen an die Helpline wenden können. Um die Vielfalt dieser Anliegen aufzuzeigen, haben wir darum nicht nur in unserem Helpline-System recherchiert, zu welchen Themen wir immer wieder befragt werden. Sondern wir haben zudem die Dachverbände gebeten, spezifische Anliegen ihrer Teil-Community zu formulieren: Wir haben TGNS gefragt, was Fragen sind, die trans Menschen umtreiben und die LOS, in welchem Bereich die Lesben froh um Ratschläge sind. InterAction haben wir gefragt, welcher Art der Diskriminierung intergeschlechtliche Menschen immer wieder ausgesetzt sind und Pink Cross hat uns erklärt, was die Schwulen und bi Männer beschäftigt. Alle Anliegen, die nun auf den Flyer und Plakaten stehen und auf Reels durch Social Media wandern, zeigen nicht nur die Vielfalt der Themen, mit denen wir uns bei der Helpline beschäftigen. Sondern die Anliegen wurden von den Betroffenen formuliert. Hier hat sich keine fancy Werbeagentur spicy Slogans überlegt, sondern Queers haben gesagt, was Sache ist. 

 

Dazu passt, dass wir zeitgleich auf Social Media einen Aufruf gemacht haben: Die Gesichter der Werbekampagne sollten Menschen aus der queeren Community sein. Wir wollten keine professionellen Models, sondern Menschen, die für die Vielfalt des Regenbogens stehen. Der Aufruf fand Anklang: Über 60 Personen meldeten sich, um Teil der Kampagne zu sein. In einem nächsten Schritt trafen wir anschliessend eine Auswahl, bei der wir versucht haben, aus den Bewerber*innen eine möglichst diverse Gruppe in Bezug auf Geschlechtsidentitäten, sexuellen Orientierungen, Alter, geschlechts-unabhängigem Aussehen etc. zusammenzustellen. Das war – to put it lightly – eine ziemliche Herausforderung und wie leider so oft könnte die Gruppe diverser sein, trotzdem sind wir happy, mit den letztlich 23 ausgewählten Menschen einen Teil der Vielfalt innerhalb der Community abdecken zu können. 

 

Der nächste Schritt war einer der herausforderndsten: Es ging um die Zuteilung der formulierten Beratungsanliegen zu einem entsprechenden Gesicht. Während nämlich Name, Pronomen, Alter, sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität der Models auf allen Sujets wahrheitsgetreu sind, sind die Beratungsanliegen fiktiv. Die Models mussten also entscheiden, ob sie damit einverstanden sind, dass sie repräsentativ für ein Anliegen einer Teil-Community stehen, zu der sie gehören (weil sie cis, lesbisch, älter … sind) – auch wenn sie noch nie in einer solchen Situation waren. Das führte noch einmal zu einigen Anpassungen, aber letztlich konnten wir für jedes Anliegen ein entsprechendes Gesicht finden.

 

Danach ging alles ziemlich schnell: Bei einem professionellen Photoshooting in einem Studio in Zürich wurden alle Models im 15-Minuten-Takt abgelichtet und in der sogenannten Postproduction dann das passendste Motiv ausgewählt, bearbeitet und mit dem entsprechenden Anliegen grafisch zu einem Sujet verbunden. Entstanden sind 23 Sujets, die es alle als A6-Flyer gibt, 8 davon zusätzlich als A3- und 3 als A1-Plakate. Oder anders formuliert: Alex, Aline, Amélie, Anis, Anna, Annina, Barbara, Ben, Chrigu, Christian, Cri, Jenny, Kathrin, Kiki, Laura, Megan Gag, Mel, Mizzi, Pascal, René, Samir, Urs Vanessa und Vani stehen für die Fragen und Anliegen lesbischer, schwuler, bi, trans, intergeschlechtlicher und queerer Menschen, die uns bei der LGBTIQ Helpline immer wieder begegnen – und hoffentlich anderen Queers Mut machen, sich bei uns zu melden. Denn wir sind – das ist der Slogan der Kampagne – «da für Dich».

 

Als ich neulich beim Anstehen an der Bar auf die Frage, was ich beruflich mache, sagte, dass ich Projektleiter der LGBTIQ Helpline sei, meinte mein Date: «Ah, diese farbige Kampagne mit den mega vielen Menschen und ihren unterschiedlichen Anliegen?!» Ich entschied mich trotzdem für einen Shot – und war wenige Minuten später froh drum.

 

Die LGBTIQ Helpline steht dir bei Fragen zum queeren Leben zur Seite. So erreichst du uns:

Chat auf lgbtiq-helpline.ch 
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Telefonisch jeweils Montag bis Freitag von 19 bis 21 Uhr unter 0800 133 133

 

Du möchtest in deinem Umfeld auf die Kampagne aufmerksam machen? Hier kannst du kostenlos Flyer und Poster bestellen.

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Text: Milo Käser