Diskriminierung, öffentliche Meinung & feindselige Diskurse
Pink Cross arbeitet regelmässig an verschiedenen Forschungsprojekten zu LGBTIQ+ Themen in der Schweiz mit. Neue Ergebnisse aus der Forschung unterstützen unsere Arbeit mit Behörden und helfen uns eigene Projekte an den aktuellen Gegebenheiten auszurichten. Zwei kürzlich durchgeführte Studien, eine quantitativ (Amnesty-Umfrage), die andere qualitativ (RESIST-Projekt), haben sich mit der Anfeindung und Diskriminierung von LGBTIQ+ Personen in der Schweiz befasst. Im Folgenden berichten wir von den neuen quantitativen Ergebnissen und aus einem Interview mit der Leiterin der Schweizer Studiengruppe des RESIST-Projekts.
Amnesty-Umfrage:
Fortbestehende Diskriminierung und unterschiedliche Behandlung von Minderheiten.
In Zusammenarbeit mit Pink Cross und den anderen nationalen Dachverbänden führte Amnesty jeweils eine Umfrage zu Diskriminierungsfragen in der breiten Öffentlichkeit (anhand eines internen Panels der Gfs.Bern) und in der Community durch.
Die Ergebnisse bei der Community bestätigen, was wir bereits wissen: Diskriminierung ist immer noch weit verbreitet. So berichtet fast jede vierte Person aus der Community, dass sie in den letzten fünf Jahren Opfer sexualisierter oder körperlicher Gewalt geworden ist, und eine Mehrheit hat in den letzten 12 Monaten bedrohliche Gesten oder abwertende Blicke erlebt - höhere Werte als in anderen europäischen Ländern, in denen die gleiche Umfrage durchgeführt wurde!
In der breiten Öffentlichkeit bleiben diese Angriffe mehrheitlich ohne Reaktion: Eine Minderheit der Menschen (43%) gibt an, zumindest manchmal homosexuelle Personen öffentlich zu verteidigen - immerhin 18% davon gaben an, häufig einzuschreiten. Der Anteil ist geringer, wenn es um die Verteidigung von trans Personen geht (nur 23%)! Ähnlich ist die Situation, wenn es um die Rechtslage geht: für trans und intergeschlechtliche Menschen möchten sich die Befragten deutlich weniger einsetzen als für homosexuelle Personen.
Insgesamt finden trans, nicht binäre und intergeschlechtliche Menschen in der Öffentlichkeit weniger Verständnis und Unterstützung als lesbische, schwule und bisexuelle Menschen. Die Befragten fühlen sich auch weniger gut über trans, nicht binäre und intergeschlechtliche Belange informiert als über die Belange von LGB-Personen. Was die Einstellungen betrifft, so werden schwule und lesbische Menschen von einer Mehrheit positiv gesehen, während trans, nicht binäre und intergeschlechtliche Personen mehr offene Ablehnung hervorrufen.
Der Blick auf schwule Männer zeigt sich differenzierter: Während eine Mehrheit die Gleichberechtigung unterstützt und eine unterstützende Haltung zeigt, sind bestimmte Stereotypen und negative Einstellungen nach wie vor weit verbreitet: 36% glauben, dass die sexuelle Orientierung nur im Privaten ausgelebt werden sollte, 41% sind der Meinung, dass in einer homosexuellen Beziehung «eine Person die Frau und die andere der Mann ist», 49% würden beim Anblick von zwei sich küssenden Männern negative oder gemischte Gefühle empfinden, und fast 56% hätten negative oder gemischte Gefühle, wenn sie in einen schwulen «Space» eingeladen würden.
Diese Ergebnisse bestärken uns in unserer
täglichen Arbeit: Diskriminierung ist noch lange nicht verschwunden, und die gegenseitige Unterstützung innerhalb der Community ist umso wichtiger, solange die Allgemeinbevölkerung weiterhin eine gemischte Unterstützung zeigt und es Personen gibt – laut Studie insbesondere Männer, religiöse Menschen oder Menschen, die politisch rechts stehen - eine erhebliche Feindseligkeit an den Tag legen.
Projekt RESIST - Fostering queer feminist intersectional resistances against transnational anti-gender politics in Europe.
Ekaterina Filep, Sie haben die RESIST-Studie
für die Schweiz geleitet, können Sie uns in wenigen Worten sagen, worum es geht?
RESIST ist ein europäisches Forschungsprojekt rund um die «Anti-Gender»-Bewegungen (Anti-Woke, Anti-Feminismus, Anti-LGBTIQ+, etc.) in Europa. In einer ersten Phase haben wir den Anti-Gender-Diskurs in mehreren europäischen Ländern, darunter auch die Schweiz, nachgezeichnet. Anschliessend befragten wir rund 30 Personen in der Schweiz in Fokusgruppen und Interviews zu ihren Erfahrungen mit Anti-Gender-Diskursen und den Auswirkungen, die diese auf ihr Leben haben. In der dritten Phase werden wir mit Organisationen der Zivilgesellschaft zusammenarbeiten, um Strategien für den Widerstand zu entwickeln.
Was sind, bezogen auf die Schweiz, die wichtigsten Ergebnisse?
In der Schweiz manifestiert sich die Anti-Gender-Politik auf vielfältige Weise, die von offener Feindseligkeit – wie der gewaltsamen Störung einer «Drag-Story»-Veranstaltung oder feindseligen Reden in den Medien oder in der Politik - bis hin zu subtileren, technokratischen Methoden, einschliesslich juristischer oder bürokratischer Argumente, reicht.
Zu den Schlüsselthemen dieser Mobilisierungen gehört der Widerstand gegen inklusive Sprache, Sexualaufklärung, die Rechte von trans Menschen oder Sexarbeit. Diese Opposition ist beweglich und wird weitgehend durch reisserische Medienberichte und politischen Diskurs, durch die Aufbauschung verschiedener Ereignisse sowie durch aktive Desinformation zu bestimmten Themen genährt.
Die Auswirkungen dieser Bewegungen gehen über die «öffentliche Sphäre» hinaus und dringen in den persönlichen und beruflichen Bereich ein: Familienmitglieder oder Kolleg*innen wiederholen die gehörten Aussagen und schaffen so Spannungen oder Konfrontation. Für Menschen, die sich für die Gleichstellung einsetzen, ist der latente Druck im Alltag belastend, verstärkt durch das Phänomen der hohen Gewaltbereitschaft im Internet und die Antizipation potenzieller Gewalt. Das führt teils auch zur Selbstzensur.
Trans Personen sind von diesen Diskursen und der Gegen-Mobilisierung besonders betroffen. Das zeigte sich auch in Form von besonders starken Auswirkungen bei den trans, nicht binären und intergeschlechtlichen Personen, mit denen wir gesprochen haben.
Und was können wir angesichtsdieser Bewegungen tun?
Der Widerstand organisiert sich! Menschen und Organisationen bleiben nicht untätig, und es werden bereits vielfältige Formen des Widerstands praktiziert: Koalitionsarbeit, politische Einflussnahme, Aufbau von Safer Spaces usw. Und genau das ist das Ziel des dritten Teils unserer Forschung, neue Strategien für die Zukunft zu entwickeln.
Text: Gaé Colussi