Transfeindlichkeit ist Trend
Mein Freund Martin meinte neulich: «Es läuft doch so gut für die Queers in der Schweiz! Wir haben die Ehe für (fast) alle, es gibt ein Selbstbestimmungsgesetz, Hassrede gegen queere Menschen wird bestraft, einige Kantone verbieten Konversionsmassnahmen. Und dass in der Schweiz vielleicht bald nicht binäre Menschen anerkannt werden, ist doch auch auf gutem Weg!»
Alles ist doch gut, oder? Nein, denn der Rechtsrutsch in den USA und vielen Ländern Europas und des Ostens ist dabei, wieder vieles zu verändern. Und hier sind trans Personen das Bauernopfer in den Bemühungen der Rechtspopulisten, die patriarchale Ordnung und ihre Macht aufrechtzuerhalten. Dafür fliesst Geld, sehr viel Geld. So wurde in Donald Trumps Wahlkampf die unglaubliche Summe von 21 Millionen Dollar in Anti-Trans-Kampagnen im TV gesteckt. Russland hat schon länger geschlechtsangleichende Massnahmen verboten und erkennt trans Menschen rechtlich nicht an. Die Behandlung von trans Kindern und Jugendlichen kommt überall immer stärker unter Druck, und es wird diskutiert, ob sie überhaupt noch durchgeführt werden soll.
Dieser Umschwung hat längst auch die Schweiz erreicht, aber hier wird – noch – auf kleinerer Flamme gekocht. Transkritische und offen transfeindliche Motionen auf allen politischen Ebenen werden jedoch mehr und mehr eingereicht, sei es das sog. Gendersternverbot in der Zürcher Verwaltung oder die Motion gegen die Durchführung der Eurovision Song Contests in Basel. Immer gepaart sind diese Vorstösse mit tendenziösen Kampfbegriffen wie Gender-Gaga, Genderverschwörung, Ideologie, Indoktrination, um demgegenüber traditionelle Familienbilder und Geschlechterrollen zu propagieren. Dabei fokussiert man sich immer auf dieselben Themen, die für genügend Empörung sorgen: Trans und Nonbinarität gibt es gar nicht, weil es nur zwei unveränderbare Geschlechter gibt, man würde eine Gendersprache aufzwingen, Aufklärung in der Schule gilt als Manipulation der Jugendlichen...
Zum Transgender Day of Remembrance (20. November) sehen wir nun komprimiert, was mit diesen Tendenzen wirklich erreicht wird: Gewalt gegen trans Menschen nimmt weltweit ungeheuer zu. In einem Jahr sind 350 Fälle von Hassmorden an trans Personen weltweit bekannt geworden, eine der höchsten jährlichen Todesraten seit dem Beginn der Erfassung im Jahr 2008. Dies ist eine Folge der vereinten Bemühungen von Anti-Gender- und Rechtsaussen-Bewegungen, trans Personen zu instrumentalisieren und zu verunglimpfen, um ihre antidemokratische politische Agenda durchzusetzen. Ermöglichst wird dies durch einen Anstieg von Hassreden und Hassverbrechen, insbesondere durch politische Akteure, religiöse Führer und Personen des öffentlichen Lebens. Dieser Anstieg wird zudem durch Manipulation und bewusste Desinformationen in Medien gepusht.
Martin, wir müssen reden. Ja, was erreicht worden ist, ist gut. Aber es ist ein kleiner Tropfen gegenüber dem Backlash, der (nicht nur) auf trans Menschen zurollt. Du und ich, wir müssen uns wehren, durch gesellschaftliche Solidarität, eine starke Demokratie und Aufklärung.
Text: Henry Hohmann