Der strafrechtliche Schutz vor Konversionsmassnahmen
In der Schweiz gibt es bestimmte Kreise, in denen die Meinung herrscht, Homosexualität sei eine psychische Störung und die Folge eines inneren Konfliktes. Sie soll mittels Konversionsmassnah-men «behandelt» werden. Die Wissenschaft ist sich jedoch einig, dass solche Massnahmen die sexuelle Orientierung nicht dauerhaft verändern können. Betroffene leiden vielmehr unter Depressionen, Selbsthass, sozialer Isolation und Suizidalität. Sind solche Massnahmen in der Schweiz somit strafbar?
Viele Betroffene, die ihre sexuelle Orientierung mit den familiären, gesellschaftlichen oder religiösen Werten nicht vereinbaren können, wenden sich an Therapeut*innen, Seelsorger*innen etc., um ihre Nicht-Heterosexualität zu verändern. Neben den negativen Folgen für die Betroffenen selbst, haben Konversionsmassnahmen auch gesellschaftliche Auswirkungen. Sie erwecken den Eindruck, Nicht-Heterosexualität sei «heilbar» oder «veränderbar» und tragen so zur Stigmatisierung bei. Der Bundesrat meint, das geltende Recht biete einen genügenden Schutz vor solchen Massnahmen. Ein Blick ins Strafgesetzbuch zeigt, dass das schweizerische Strafrecht keine Bestimmung kennt, die Konversionsmassnahmen ausdrücklich verbietet. Je nach Form der Massnahme, kann jedoch ein Straftatbestand erfüllt sein. Dazu stellen sich einige Fragen.
Was sind die Erscheinungsformen in der Schweiz?
Anbieter*innen solcher Massnahmen sprechen nicht mehr von «Konversionstherapien». Vielmehr ist von einer «ergebnisoffenen Beratung und Begleitung» bei «konflikthafter Sexualität» die Rede. Der Inhalt ist jedoch der gleiche. Die Erscheinungsformen von Konversionsmassnahmen sind vielfältig. In der Schweiz treten sie hauptsächlich als Aversions-, Gesprächs- und Verhaltenstherapien oder als seelsorgerische Beratung und «Befreiungs-Seelsorge» auf.
Aversionstherapien zielen darauf ab, bei den Betroffenen ein schmerzhaftes Gefühl auszulösen, sobald sie einem bestimmten Reiz ausgesetzt sind. Früher wurde den Betroffenen homoeroti-sches Video- und Bildmaterial gezeigt und gleichzeitig Brechmittel verabreicht oder Elektroschocks zugefügt. Heute werden Betroffene z.B. angewiesen, ein Gummiband am Handgelenk zu tragen und dieses schnalzen zu lassen, sobald sie homosexuelle Gefühle verspüren. Gesprächs- und Verhaltenstherapien stützen sich auf der – wissenschaftlich überholten - «reparativen Theorie», wonach ein Trauma der Grund für die Nicht-Heterosexualität ist. Dieses Trauma soll «repariert» werden. In Gesprächstherapien wird die Nicht-Heterosexualität auf eine «abnormale» Erziehung, sexuellem Missbrauch oder sonstige kritische Lebensereignisse zurückgeführt. In Verhaltenstherapien lernen Betroffene asexuelle Freundschaften zu pflegen, sich geschlechtsstereotypisch zu verhalten, heterosexuellen Sex zu haben und heterosexuelle Pornografie zu konsumieren. Die seelsorgerische Beratung verknüpft die «reparative Theorie» mit der Überzeugung, Homosexualität sei eine Sünde. Sexuelle Enthaltsamkeit und ein Leben im Dienste Gottes gilt als wünschenswerte Lebensform. Die «Befreiungs-Seelsorge» sieht Geister und Dämonen als Ursache, von denen Betroffene mit Exorzismen zu befreien sind. Dazu gehören Gebet, Handauflegen, Ölsalbung oder Zungenreden. Gewaltsamere Praktiken wie z.B. Prügel sind jedoch nicht auszuschliessen.
Schützt das Strafrecht vor solchen Massnahmen?
Konversionsmassnahmen verletzen die körperliche Unversehrtheit, die Ehre, die Freiheit und die Menschenwürde der Betroffenen. Das Strafrecht bietet aktuell einen relativ guten Schutz vor beleidigenden Äusserungen und Diskriminierung in der Öffentlichkeit. Die Erweiterung der Rassismus-Strafnorm (Art. 261bis StGB) auf die sexuelle Orientierung hat den strafrechtlichen Schutz auch mit Blick auf Konversionsmassnahmen besonders aufgewertet. Nicht erfasst wird jedoch diskriminierendes Verhalten im Privaten, wie dies bei Konversionsmassnahmen meistens der Fall ist.
Damit Konversionsmassnahmen, die körperliche oder seelische Schäden zur Folge haben, als strafbar gelten, müssen sie eine bestimmte Intensität aufweisen. Es muss auch nachgewiesen werden, dass die konkrete Massnahme die Ursache der Verletzung ist. Diese Massnahmen haben heute jedoch kaum noch körperliche Schäden in der geforderten Schwere zur Folge. Betroffene leiden vielmehr an psychischen Problemen. Es ist jedoch schwierig nachzuweisen, dass diese die Folge von Konversionsmassnahmen sind, da Betroffene zu Beginn der Massnahmen oftmals bereits psychisch vorbelastet sind. Liegt tatsächlich eine körperliche Verletzung vor, so würde diese – gleich einer Ohrfeige – höchstens mit Busse bestraft (Art. 126 StGB). Das ist mit Blick auf das grosse Risiko einer Traumatisierung der Betroffenen äusserst unbefriedigend.
Das Strafrecht schützt davor, zu etwas gezwungen zu werden, was man nicht möchte. Damit sich Täter*innen strafbar machen, muss entweder Gewalt eingesetzt, dem Opfer mit schweren Nachteilen gedroht oder sonst wie Druck ausgeübt werden. Bei Konversionsmassnahmen besteht das Problem, dass meist kein solches Druckmittel (sog. Nötigungsmittel) in der geforderten Intensität eingesetzt wird. Betroffenen wird eingeredet, ihre sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität sei krankhaft, widerlich und sündhaft. Der daraus entstehende Wunsch nach Veränderung wird dann als Grundlage und Legitimation für diese Massnahmen missbraucht. Das Gesetz schützt auch die sexuelle Selbstbestimmung und die ungestörte Entwicklung Minderjähriger. Konversionsmassnahmen sind nach Sexualstrafrecht erst dann strafbar, wenn Pornografie oder sexuelle Handlungen involviert sind. Jedoch verletzt bereits die Durchführung solcher Massnahmen an sich die sexuelle Selbstbestimmung. Es wird nämlich gestützt auf pseudowissenschaftlicher Thesen Druck ausgeübt und Einfluss auf das Sexualleben der Betroffenen genommen. Dieser Tatsache wird das aktuelle Sexualstrafrecht nicht gerecht.
Braucht es eine ausdrückliche Strafbestimmung?
Das Problem der geltenden Straftatbestände ist, dass sie nicht auf Konversionsmassnahmen zugeschnitten sind. Die Strafbarkeit setzt das Vorliegen von Schädigungen voraus, die bei Konversionsmassnahmen so nicht auftreten oder sich kaum nachweisen lassen. Das Strafrecht bietet somit keinen genügenden Schutz. Eine ausdrückliche Strafbestimmung müsste jegliche Verhaltensweisen bestrafen, die auf die Veränderung oder Unterdrückung der sexuellen Orientierung gerichtet sind. Gegner*innen eines Verbots von Konversionsmassnahmen argumentieren, dass die Massnahmen auf Freiwilligkeit beruhen. Nicht berücksichtigt wird dabei, dass Betroffene oft in einem homophoben Umfeld aufwachsen und der Diskriminierung und Stigmatisierung ausgesetzt sind. Sie stehen also unter Druck, sich zu verändern. Zusätzlich wird Betroffenen eindringlich klar gemacht, dass der Erfolg der Massnahme von ihrem Willen abhängig ist. Die Verantwortung wird so auf die Betroffenen abgeschoben. Damit Konversionsmassnahmen den gewünschten Erfolg erzielen können, müssen Betroffene den Willen dazu haben. Sie haben also gar keine Alternative als «freiwillig» die Massnahmen in Anspruch zu nehmen.
Wie weiter?
Der Staat und die Gesellschaft stehen in der Pflicht, die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung zu wahren. Konversionsmassnahmen stellen eine erhebliche Gefahr für die Gesundheit der Betroffenen dar. Dieser Schutz ist durch gesetzgeberische Tätigkeit im Strafrecht zu gewährleisten. Denn ein Strafrecht, welches vor solchen traumatisierenden und schädigenden Verhaltensweisen auf Kosten von insbesondere jungen nicht-heterosexuellen Personen die Augen verschliesst, ist der Schweiz nicht würdig.
Mitte August hat die Rechtskommission des Nationalrats eine Motion für ein Verbot von Konversionsmassnahmen an minderjährigen und jungen erwachsenen LGBT-Personen sehr deutlich angenommen. Ein wichtiger Schritt für unsere Community, denn nur so können queere Personen vor diesen schädlichen und traumatisierenden «Therapien» geschützt werden. Nun sind National- und Ständerat gefordert, der Motion zuzustimmen und das Verbot zu erlassen.
Text: Davide Gioiello